Kabelsalat

Große Projekte bei großen Konzernen haben ihre eigenen Regeln. So auch ein Projekt mit einem großen deutschen Telekommunikationsunternehmen. Es ging um viele viele (also wirklich VIELE) TFT-Displays, die in einzelnen Niederlassungen installiert werden sollten. Aus einem mir nicht wirklich ersichtlichen Grund musste das TFT-Display in sämtliche Einzelkomponenten aufgeteilt – also quasi (fast) jede Schraube separat bepreist werden. Das ganze mündete schließlich in einer grotesken Preisverschieberei. Irgendwie hatte das wohl mit einzelnen Kostenstellen und der Übernahme der jeweiligen Kosten zu tun. Ich vermute jedoch, dass es (mal wieder) um einen internen Machtkampf ging.

Zum Schluss – aber auch schon im Verlauf des Projekts – hatten alle (aber wirklich ALLE!) Beteiligten den Überblick verloren und die Preisgestaltung widersprach JEDER Logik (und nebenbei auch dem gesunden Menschenverstand :-). Denn wir hatten z.B. beim Display – bei einem Verkaufspreis von ca. 250 Euro – einen Deckungsbeitrag von schlappen 5 Euro. Beim VGA-Kabel hingegen hatten wir einen unglaublichen Deckungsbeitrag von 2000% (in Worten ZWEITAUSEND! Prozent). D.h. wir haben ein Kabel für weniger als einen Euro eingekauft und für knapp 20! Euro wieder verkauft.

Mir machte das Angst – aber ich hatte keine Wahl – denn so waren die Regeln. Und als junger Unternehmer (das Ganze ist schon ein paar Jahre her) schluckt man so manche Kröte. Aber ich wusste auch, dass es NIEMALS passieren darf, dass nur TFT-Displays bei uns bestellt werden. Und dann kam es doch so – der Kunde bestellte (Achtung – halten Sie sich fest) 1.000! Stk. VGA-Kabel. Mir wurde ganz übel und ich dachte noch bei mir: „die haben sie nicht alle“. Heute weiß ich es genau – die hatten sie wirklich nicht alle :-).

Aber meine christliche Erziehung zeigte Wirkung – ich bekam ein schlechtes Gewissen. Also habe ich zum Hörer gegriffen und den Einkäufer (ein gewisser Herr G…) angerufen. Das Gespräch lief in etwa so ab (Gedächtnisprotokoll!):

ich: »Hallo Herr G… – ich habe hier eine Bestellung von Ihnen, die kann ich so nicht ausführen«

G..: »Warum nicht?«

ich: »Na weil der Preis viel zu hoch ist – ich kann ihnen nicht ein einfaches Kabel für 20 Euro/Stk. verkaufen. Könnt ihr nicht die Kabel woanders kaufen – da sind sie viel günstiger?«

G..: »Nein – das geht nicht. Das Gesamtsystem ist mit Ihren Kabeln getestet. Ein anderer Lieferant müsste erst von uns zertifiziert werden«

ich: »Ja – aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Wir sollten den Preis für die VGA-Kabel noch mal besprechen weil… (Herr G… fällt mir barsch ins Wort)«

G..: »Jetzt passen Sie mal auf Nägele – wenn ich den Preis in meinem SAP-System ändern will, dann brauche ich 4 (in Worten VIER!) Unterschriften – und das dauert mindestens 6 (in Worten SECHS!) Wochen. Also zicken Sie nicht rum und liefern Sie die VGA-Kabel wie vereinbart. Sonst war das der letzter Auftrag von uns« (Herr G… knallt den Hörer auf das Telefon).

Telefon: »Tuuuut – tuuuut – tuuuut«

Mein schlechtes Gewissen war mit einem Schlag weg. Wir haben die Kabel geliefert. Und ich dachte noch bei mir: „Schon eine geile Software – dieses SAP“. Herr G… ist inzwischen entlassen worden (irgendwelche Unregelmäßigkeiten – welcher Art auch immer). Kann ich mir gar nicht vorstellen. Unregelmäßigkeiten trotz SAP? 🙂