Unternehmen in Ottmarsheim – Nachfolger gesucht: „Ich bin es der nächsten Generation schuldig“
Frank Nägele entwickelt seit knapp 30 Jahren digitale Schilder. Foto: Simon Granville
Stuttgarter Zeitung – 22.08.2024 – Anna-Sophie Kächele
Frank Nägele sucht eine Nachfolge für sein Unternehmen. Nicht heute, nicht morgen. Stattdessen will er sich schleichend verabschieden. Ein Gespräch über die Frage, warum er es der jungen Generation schuldig ist, nicht direkt in Rente zu gehen.
Frank Nägele duzt jeden. Von Anfang an. Den Chefeinkäufer von Airbus, den Postboten, die Frau von der Presse. Wer das nicht wolle, solle auflegen oder gehen, sagt er. Mit den Konsequenzen kann er leben. Der 59-Jährige ist geradeheraus und direkt – und so geht er auch die Frage nach der Nachfolge in seinem Unternehmen an. Er denkt zwar noch lange nicht an die Rente – aber an einen fließenden Übergang für seine Werkstation in Ottmarsheim.
Im Gespräch erinnert er sich an die Anfänge seiner Karriere und das Gespräch zur Berufsorientierung in der Schule. Das Ergebnis: Polizist oder Schauspieler. Beides scheint nicht völlig abwegig zu sein, wenn man mit dem Hessigheimer spricht. Frank Nägele hat Humor, der aus der Reserve lockt, teilweise provoziert und eine bestechende Ehrlichkeit.
Der Anfang seiner Karriere im Kernkraftwerk
Als Jugendlicher folgt er statt der Empfehlung seinem Kindheitstraum und bewirbt sich, ohne seinem Vater davon zu erzählen, bei der Bundespolizei. Er arbeitet für einige Zeit als Personen- und Objektschützer, will bei einer Spezialeinheit Karriere machen. Der Termin beim Augenarzt macht seine Pläne jedoch zunichte. Stattdessen kündigt er, macht sein Abitur nach und beginnt als Aushilfsarbeiter beim Kernkraftwerk Neckarwestheim. Wie es der Zufall so will, steht er da nicht in der Gartenanlage zum Rasen mähen, sondern landet im Büro vor dem ersten Apple Macintosh. „Einmal eingeschaltet und ich war sofort verliebt“, erzählt er heute. Dabei sollte es nicht bleiben.
Sein Chef im Kernkraftwerk ermutigt ihn, auf die Uni zu gehen. Als studierter Wirtschaftsingenieur erkennt Nägele danach auf der Hightech-Messe Cebit in Hannover das Potenzial von Touchscreens. „Da hat noch keiner dran geglaubt – mit dem Finger auf einem Bildschirm rumwischen, das wollte keiner“, sagt er. Damals häuft er mehrere tausend D-Mark Schulden an, steckt viel Energie rein – ohne dass am Ende wirklich etwas übrig bleibt.
Wo andere die Bremse ziehen und die Schulden als Zeugnis für das eigene Scheitern sehen würden, macht Frank Nägele weiter. „Ein Freund von mir hat gesagt, du bist bisschen ein Vogel. Wenn es schlecht läuft, scheust du dich nicht davor mit den Flügeln zu schlagen. Wenn es gut läuft, nimmst du dir Zeit, um zu genießen“, beschreibt er seinen Umgang mit Herausforderungen.
Zu seinen Kunden gehört EnBW, Porsche, RTL
Frank Nägele mag es, wenn‘s mal holprig wird. Heute verkauft er seit knapp 30 Jahren erfolgreich digitale Schilder – sei es die Werbetafel, der Etagenhinweis am Aufzug oder der Wegweiser bei EnBW, Porsche oder RTL. Die Displays sind in vielen Bereichen zur Selbstverständlichkeit geworden. „Ich war damals einfach völlig unbedarft und frei von Angst. Sicher ist das eine Voraussetzung, um erfolgreich selbstständig zu sein“, sagt er. Frank Nägele macht selten Pläne. Überlegen, wohin man im Leben will, könne man schon, „aber das Ziel zu erreichen, war für mich nicht das Wesentliche und irgendwann langweilig“. Eigentlich gehe es um den Weg. So arbeitet er auch. Die Entwicklung eines Produkts reize ihn, treibe ihn an. Arbeit könne hochbefriedigend sein. Aber wenn der finale Entwurf steht, schließt er gedanklich damit ab: Platz schaffen im Kopf für die nächste Idee.
Die Freuden der Selbstständigkeit
Frank Nägele hat fünf Mitarbeiter unter sich, größer wollte er nie werden. „Ich habe es bewusst klein gehalten“, sagt er. Sein Limit: zehn Mitarbeitende. Es fühle sich gut an, „niemandes Knecht zu sein“. Er schätzt die Freiheit, die Flexibilität, sich seine Stunden selbst einzuteilen. Und er liebe die Wüste Israels: an manchen Tagen buche er einen Flug und sei einen Tag später weg. Seine Mitarbeiter wissen, wie der Laden läuft. Auch das gehört zum guten Ton in dem Unternehmen, in dem nie jemand gekündigt hat.
Jetzt, mit knapp 60, fängt Nägele an, eine Nachfolge zu suchen. Um sich langsam aus dem Unternehmen zu schleichen, wie er sagt. Am Stichtag den Stift fallen lassen? Das widerspricht jeglicher seiner Vorstellungen. „Ich habe 60 gute Jahre erlebt und das nur, weil zwei, drei
Generationen ihr Bestes gegeben haben“, sagt er. Also sei er es wiederum der nächsten Generation schuldig, sich nicht von heute auf morgen zurückzuziehen. Finanzielle Mittel, Kontakte, Wissen, andere dabei unterstützen, sich etwas aufzubauen – es gebe viele verschiedene Wege seiner Pflicht nachzukommen.
Natürlich spricht er mit seinem Team über die Nachfolge, eine Bringschuld hat er seinen Mitarbeiterin gegenüber aber nie empfunden. „Ich habe immer pünktlich und gut bezahlt, sie haben gute Leistungen erbracht. Wir sind im Reinen miteinander“, sagt er. Frank Nägele weiß, wonach er sucht. Jemand der den Job liebt: einen Schöpfer und Kreativkopf. Dann wäre er auch bereit, sich irgendwann zurückzuziehen. „Man muss auch irgendwann erkennen: Jetzt ist einfach gut“, sagt er. Der 59-Jährige kennt seinen Wert, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen.
Was als Nächstes kommt? Steht noch nicht fest, da schwirren einige Ideen in seinem Kopf. Vielleicht geht es für Frank Nägele doch noch in die Politik. Genug zu sagen hätte er. Und die Lebenserfahrung, die es in seinen Augen dafür braucht, habe er auch.